Bericht über den Aérotrain auf ARTE TV: |
ARTE TV 5.11.2002 Aérotrain in der Sendung ARCHIMEDES: |
Der Aérotrain in ARTE TV © ARTE TV 2002 |
Der nachfolgende Text handelt von einem Interview mit Maurice Berthelot, dem ehemaligen Chef-Ingenieur
des Aérotrain Projektes. In dieser Sendung vom 5. November wurde er zum Luftkissenzug befragt.
Weiterhin wird ein Einblick in die Historie der Entwicklung gewährt. Dieser Text kann man auch bei
ARTE TV unter ARCHIMEDES, Archiv nachlesen. Nun das Interview mit freundlicher Genehmigung von ARTE TV |
In den 60er Jahren versuchte der Ingenieur Jean Bertin, durch seine Erfindungen den
Menschen das tägliche Leben zu erleichtern. Im Kampf gegen die Luftverschmutzung in den Städten konstruierte
er kleine Elektroautos. Er baute eine Maschine, mit der sich die Meeresoberfläche nach einem Tankerunglück oder
einer Industriekatastrophe reinigen ließ. Außerdem entwickelte er ein öffentliches, auf den persönlichen Bedarf
zugeschnittenes Transportmittel für den Personennahverkehr. Dieses konnte sich zwischen den Hindernissen
hindurchschlängeln und auf kurzen Distanzen seine Fahrthöhe wechseln - das "Tridim". Dabei versuchte man die
Reibungsverluste zu minimieren, indem man Gelände- oder Wasserfahrzeuge über einen dünnen Film
komprimierter Luft gleiten ließ.
1961 konnte mit dem ersten experimentellen Großluftkissenfahrzeug - dem
BC4 - der Nutzen
dieser Technik nachgewiesen werden. Der
BC7 ist ein Muss für jedes Entwicklungsland -
selbst auf behelfsmäßig ausgebauten Straßen erreicht er 50 bis 80 km/h. Ohne Probleme gleitet er vom Gelände ins
Wasser. Der BC8 ist ein echtes
Amphibienfahrzeug, das sowohl im Gelände als auch auf dem Wasser 100 km/h erreicht. Der
N 300 ist für den
Küstenverkehr und den Fährbetrieb konzipiert. Seither haben sich die Luftkissenfahrzeuge überall durchgesetzt.
Wenn eine Erfindung von ökonomischem Interesse ist und von der Politik unterstützt wird,
kommt sie über das Experimentierstadium hinaus und kann kommerziell genutzt werden.
Jean Bertin gelang es, Georges Pompidou und den Vertreter der Regionalplanung Olivier Guichard davon zu überzeugen,
dass sein Luftkissenzug eine wichtige Rolle im Verkehrskonzept des Landes spielen könnte, denn die Transportzeiten
zwischen den Städten würden sich damit erheblich verringern. Zwei Prototypen aus dieser Zeit existieren noch.
Maurice Berthelot ist der damalige Chefingenieur.
Maurice Berthelot, Ingenieur, Paris:
"Jetzt - 35 Jahre nach unserer ersten Reise mit diesem Luftkissenzug - sitze ich wieder im Führerhaus des 01.
Jean Bertin hat ihn zusammen mit einem kleinen Team in seiner Firma entwickelt und gebaut. Das Projekt wurde zunächst
über Kredite finanziert. Schon mit seinen ersten Versuchen hat Jean Bertin die Ära der Hochgeschwindigkeitszüge
eröffnet. Eigentlich glaubte damals niemand an derart hohe Geschwindigkeiten. Beim ersten Test im Dezember 65 kamen wir
auf einer Strecke von 7,5 km ohne Schwierigkeiten und auf 50 bis 60 km/h. Beim zweiten Versuch
waren es schon 100 km/h und drei Monate später erreichten wir 200 km/h."
Im November 1967 wurde der Zug mit einem Reaktor und zwei Startraketen ausgestattet. Nach 2,5 km erreicht
er eine Geschwindigkeit von 200 km/h. Dann wurde die erste Rakete gezündet, und der Zug fuhr mit 300 km/h;
die zweite Rakete wurde gezündet, und das Gefährt erreicht kurz danach 345 km/h. Bemerkenswert war die perfekte
Stabilität der Maschine. Kurz vor Einfahrt in den Bahnhof der Versuchsstrecke lag die Geschwindigkeit noch bei 260 km/h.
Maurice Berthelot, Ingenieur, Paris:
"Dann wollten wir zeigen, welche Höchstgeschwindigkeiten mit einem solchen Luftkissenzug zu erreichen war. Wir
konstruierten den 02, der bis zu 400 km/h fuhr."
In Gomette-la-ville - südwestlich von Paris - wurden 1968 auf einer 6,7 Kilometer langen Teststrecke
Versuche mit einem neuen Prototyp durchgeführt. Auf dieser Versuchsstrecke sollten mit dem Testzug 02 Geschwindigkeiten von
300 bis 400 km/h erprobt werden. Das Fahrzeug mit der extrem schnellen Beschleunigung dient auch der Luftfahrtindustrie bei der
Entwicklung und Erprobung der Schalldämpfer für das überschallflugzeug Concorde.
In der Zwischenzeit hatte das Verkehrsministerium dem Hersteller des Luftkissenzuges grünes
Licht gegeben. Im Norden von Orléans wurde eine 18 Kilometer lange Versuchsstrecke gebaut. Hier sollte der I 80 mit
seinen 80 Sitzplätzen in die Erprobungsphase gehen. Bei seinen ersten Fahrten wurde der Zug von einer siebenflügligen
Luftschraube angetrieben, die zur Geräuschminderung stromlinienförmig ausgelegt war. Die Maschine erfüllte sowohl
aus technischer Sicht als auch bezüglich des Komforts alle Erwartungen. Der I 80 absolvierte 968 Versuchsstunden, legte 68.000
Kilometer zurück und beförderte dabei insgesamt 16.000 Menschen.
Gleichzeitig entwickelte Jean Bertin für Kurzstrecken den Nahverkehrszug S 44, der mit einem leisen
Linearmotor ausgestattet war. Er erreichte Geschwindigkeiten von 200 km/h und konnte 44 Passagiere befördern. Geplant war,
dass dieser Luftkissenzug alle drei bis vier Minuten die Strecken Paris-Orléans und Paris-Lyon bedienen sollte. Die Ingenieure
gingen aber noch weiter: Sie statteten einen I 80 mit einem speziellen Antriebsreaktor aus und schlugen mit 430,4 km/h den
Geschwindigkeitsrekord für Schienenfahrzeuge.
Der Luftkissenzug beruht auf einem äußerst effizienten Prinzip: Der Druck des Luftkissens auf die Schienen
reguliert abhängig von Geschwindigkeit und der zu befördernden Last sich selbst. Die Schienen des Luftkissenzuges werden
kaum beansprucht, denn der auf ihnen lastende Druck liegt nur bei einigen Gramm pro Quadratzentimeter, während die Räder
einer Eisenbahn einen enormen Druck ausüben.
Die spektakulären Ergebnisse, die mit einem Luftkissenzug zu erreichen waren, wurden in der Presse ausgiebig
und wohlwollend kommentiert. Aber die französische Bahn, die ihr Schienennetz lediglich auf einigen Prestigestrecken für
Geschwindigkeiten bis zu 160 km/h ausbauen wollte, sah ihre Monopolstellung in Gefahr. Ferner trieb sie parallel zum Projekt des
Luftkissenzuges - sie war daran selbst beteiligt! - ihre eigene Entwicklung voran: Den Hochgeschwindigkeitszug TGV.
Die finanziellen und politischen Interessen sind immer von größter Bedeutung. Nach dem Tod von Georges
Pompidou 1974 unterzeichnete der neugewählte Präsident Valéry Giscard d'Estaing das Todesurteil für den Luftkissenzug.
Er brach den Vertrag zum Bau der ersten Linienverbindung Cergy - La Défense, den er selbst einige Monate zuvor als Finanzminister
unterschrieben hatte. Einige Beobachter schoben diesen Misserfolg auf eine zu hohe Geräuschentwicklung des Zuges, andere auf eine
starke wirtschaftliche und politische Lobby.
Das gescheiterte Abenteuer des Luftkissenzuges zeigt, dass sich eine wichtige Erfindung nicht zwangsläufig
durchsetzen muss, auch wenn ihre Technik und Leistungsfähigkeit überzeugt. Die Gesellschaft verhält sich nach Kriterien,
die den Gesetzmäßigkeiten der Physik unbekannt sind.
© ARTE-TV Sendung ARCHIMEDES vom 5.11.02